New Game – Was uns die Gaming-Industrie über die nächste Phase der digitalen (Kultur-)Revolution verrät

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Welche Rolle spielt die Gaming-Branche im Jahr 2021? Und warum sollten Marktforscher, Werbetreibende und Marken daran interessiert sein, sich darüber zu informieren? Dr. Jan-Michael Kühn, Experte für Neurosymiotik und Koordinator des Gaming Tribe bei eye square, spricht über die Bedeutung der Gaming-Branche als unterschätzter Keyplayer in der Marketingwelt sowie über ihre Rolle als unsichtbare Kraft hinter kulturellen Bewegungen. Lesen Sie hier das komplette Interview und gewinnen Sie interessante Einblicke in den Gaming-Markt!

eye square: Was ist die Gaming-Industrie aus deiner Sicht Jan-Michael?

Dr. Jan-Michael Kühn: Gaming ist eine der Branchen, die durch die COVID-19-Lockdowns ein rasantes Wachstum erfahren hat. Obwohl sie quasi ein Elefant im Werberaum ist, sind viele Marketingexperten nicht besonders vertraut mit dieser speziellen Branche.

Die großen Player wie Activision Blizzard oder Nintendo haben Marktkapitalisierungen in der gleichen Größenordnung wie die Deutsche Post, Moderna, BASF oder Colgate und sind seit Mitte der 20er Jahre um mehr als 20% gewachsen. Wichtige Branchenriesen, wie der nach Umsatz führende chinesische Spieleentwickler Tencent (Umsatz 6,7 Mrd. $), sind in der Regel gar nicht an der Börse gelistet. Dies deutet auf eine hohe Dunkelziffer hin – in alle Richtungen: Wer sind die Großen, was macht Gaming überhaupt aus, was bedeutet das Ganze für die Werbe-, Medien- und Marktforschungsbranche? Wir wollen helfen, Licht in das Dunkel zu bringen.

eye square beschäftigt sich seit 2020 intensiv mit dem Thema Gaming und hat zu diesem Zweck einen experimentellen Tribe gegründet. Die Mission des Gaming Tribe ist es, eigene Tools zusammenzustellen, um die Nuancen des Ökosystems „Gaming“ zu definieren und die tiefen Einblicke in digitale Erfahrungen, die eye square zur Verfügung stellt, weiter auszubauen.
Denn schließlich hat die Gaming-Industrie ein Volumen, das mit mehr als 160 Milliarden Dollar in etwa das Doppelte des deutschen E-Commerce oder ca. ein Drittel des US-E-Commerce beträgt. Hinzu kommt, dass vor allem junge Konsumenten auch Gamer und Trendsetter sind, was bedeutende Rückschlüsse auf die Zielgruppe unter 35 zulässt.
Nach einigen Jahren spiegeln sich diese Trends oft in der Popkultur wider, zumal Gaming oft die neuesten Trends in Bezug auf Technik und Mediengestaltung („feel and touch“), Wortschatz und Themen aufgreift und weiterentwickelt. Außerdem verbringen Gamer viel konzentrierte und exklusive Zeit mit Spielen (im Durchschnitt mehr als 8 Stunden pro Woche – in China sogar 12,5 Stunden) – was diese Zeit für Werbetreibende wichtig macht. Nicht zuletzt sind die Gaming-Trends auch für Unternehmer und Bildungseinrichtungen interessant, denn aus dem Gaming lassen sich Methoden zur Motivation und Incentivierung sowie zur spielerischen Vermittlung von Lerninhalten ableiten.

Können Sie uns mehr über Ihren Hintergrund und Ihre Rolle im eye square Gaming Tribe erzählen?

Ich bin ein Gaming-Veteran der 1990er Jahre, der schon früh von Babel Media angeheuert wurde, um Videospiele zu testen und anzupassen, während er Soziologie studierte. Es war ein Traumjob, der damals sogar regelmäßig Tester nach Kalifornien schickte, um Playstations zu spielen, „bis sie brannten.“ Meine Erkenntnisse waren aber auch für mein Studium mit dem Arbeitsschwerpunkt Musiksoziologie nützlich. Außerdem wurde ich Experte für Neurosemiotik, was mich zu einem idealen Mitglied und Koordinator des Gaming-Tribes macht. Besonderes Studieninteresse liegt übrigens auf der „Kulturellen Logik und Verführungskraft des Sinnlichen“. Die Frage des „Funkens“, der „freiwilligen Teilnahme an der Verführung“ (auch beschrieben als das „Zulassen einer Außenwirkung auf die innere Welt“), wie sie beispielsweise bei Großkonzerten oder Techno Clubs erkennbar wird, sowie die Modellierung seiner Wirkung, sind Themen, die für jede Kommunikation von Interesse sind.

Warum ist eye square an Gaming interessiert?

Gaming ist Teil der Kultur – und ähnlich strukturiert wie Kultur: Es gibt große und kleine, öffentliche und weniger öffentliche Developer, ebenso wie Unabhängige und Konzerne. Gaming ist ein typisches Ökosystem,in dem sich Tradition mit Innovation und Disruption abwechselt. In diesem Kontext ist Gaming wichtig für ein Unternehmen, dessen Erfolg maßgeblich vom Verständnis der Kultur und der Bevölkerung abhängt. eye square hat als Pionier in der Erforschung kultureller und digitaler Trends viel zu bieten. Mit Psychologen, Soziologen, Kulturwissenschaftlern, Entwicklern, Medien- und IT-Experten haben wir sowohl das technologische als auch das wissenschaftliche Know-how. Und da wir auch Gamer sind, haben wir auch die menschliche Expertise.

Hinzu kommen zwei weitere Aspekte, die Gaming für uns besonders attraktiv als Foschungsobjekt machen: Da Gaming eine globale und relativ homogene Aktivität ist (viele Spiele sind global bekannt) können wir Trends in verschiedenen Ländern erkennen und testen. Zudem lässt sich das digitale Verhalten und Erleben von Gamern leicht untersuchen, da die zu untersuchende Aktivität an einem digitalen Gerät stattfindet.

Was sind Fragen, an denen der Tribe interessiert ist?

Wir stellen eine ganze Reihe von Fragen.

1) ‚Wie können wir bessere Spiele und Hardware auf den Markt bringen?‘ ist der Ausgangspunkt, der unsere Kunden unmittelbar interessiert – seien es Spieleentwickler, Hardware- oder Systemhersteller wie Sony, Nintendo oder andere, aber auch Smartphone- und PC-Hersteller. Darauf folgt in der Regel die Frage: ‚Wie können wir Einzelpersonen oder Gruppen, die Spiele spielen, Zubehör – also Zusatzausrüstung – anbieten‘.

Natürlich geht es auch um Einnahmen und Absatzmöglichkeiten – real und virtuell. Spiele kosten zunehmend nichts mehr. Das „Free-to-Play“-Modell finanziert sich durch In-Game und geschickte Werbung.

Werbung kann zwischen den Spiel-Levels oder vor dem Spiel eingeblendet werden, sie kann aber auch „im Spiel“ platziert werden – sei es durch virtuelle „Bandenwerbung“ in Rennspielen oder Werbung durch Visuals bei „Virtual-Reality-Events“ (wie z. B. virtuelle Großkonzerte, bei denen Bühnen oder sogar Interpreten oder andere Zuschauer Werbeträger sein können). Dies ist nicht nur für Entwickler attraktiv, sondern auch für Unternehmen, die an Gamer verkaufen wollen und die Vorteile der Werbung in der Spielumgebung nutzen möchten.

2) Was ist Gaming und was bedeutet es für die Gesellschaft und ihre Strukturen und Prozesse? Man kann Trends schon Jahre im Voraus erkennen, sowohl was die Technik und die Themen angeht, als auch mögliche Auswirkungen auf die Mainstream-Kultur. Indem wir uns außerdem grundsätzlich mit dem Erleben im breitesten Sinne beschäftigen – also im sinnlichen, emotionalen und kognitiven Bereich, lernen wir viel über Möglichkeiten einer alternativen Anwendung von Gaming-Konzepten in anderen „Erlebniswelten“. Gaming ist ein Einstieg / Türöffner (oder auch Verführer) in den Bereich VR/AR. Man kann hier neue Anwendungen testen oder Anwendungen für Zwecke der Bildung (virtuelle Studienreisen von zu Hause aus) oder medizinische Therapien (Therapien / Selbstkurse für Menschen mit Behinderungen) untersuchen und entwickeln.

3) Das Wichtigste sind die praktischen und technischen Fragen: Wie erforschen wir das alles? Was sind die Fragen, die wir stellen und erforschen müssen? Wie können wir das methodisch erfassen, und wie kommen wir technologisch an die Antworten? Nutzen wir am besten Facial Expression Tracking, Hautmessung, Eye Tracking – oder alles zusammen? Darüber hinaus ist der Prozess der Auswertung wichtig. Man muss konzentrieren, denn man kann zwar eine riesige Menge an Daten sammeln, muss sie aber auch interpretieren und analysieren können. Das typische Problem von Datenmengen: von Daten zu Informationen zu Wissen. Mit unserer Fähigkeit, Daten zu sammeln und so zu analysieren, dass man sie verstehen und richtig nutzen kann, sind wir in Deutschland, wenn nicht sogar in Europa, führend.

Welchen Kunden sollte dieses Wissen bekannt sein?

Investoren, Verlage und Tech-Unternehmen sind im Bereich der elektronischen Unterhaltung unterwegs, ebenso wie jeder, der den nächsten Schritt in der (Konsum-)Gesellschaft verstehen will. Sogar Bereiche wie Medizin und Bildung können Prinzipien aus der Spielewelt adaptieren – sogennante Gamification. Gamification ist die Übertragung von Prinzipien aus Spielen (Motivationsprinzipien wie z.B. Belohnungen, Wettbewerb, Hierarchien) auf Bereiche wie Kunden- oder Mitarbeitermotivation (z.B. wie man Kunden zum Bewerten motiviert). Zum Beispiel basiert das Qualitätsmanagement von Uber oder AirBnB auf solchen Spielprinzipien mit unterschiedlich farbigen Icons für Kunden und Anbieter.

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